Neue Entwicklungen im W&I-Versicherungsmarkt (2024)

Von Christian Thiele

Bei Immobilientransaktionen verfolgen Käufer und Verkäufer bei den Vertragsverhandlungen naturgemäß entgegengesetzte Interessen. Der Verkäufer ist bestrebt, einen möglichst hohen Kaufpreis zu erreichen und gleichzeitig die Haftungsrisiken gering zu halten. Insbesondere Private Equity-Investoren versuchen, bei der direkten oder indirekten Veräußerung von Immobilien einen „clean exit“ zu erreichen, um die verkaufende Gesellschaft schnell auflösen zu können. Auf der anderen Seite kennt der Käufer die Immobilie nur aus der Due Diligence und wird daher versuchen, neben der Minimierung des Kaufpreises eine umfassende Absicherung durch Garantien des Verkäufers zu erhalten. Aber selbst wenn entsprechende Garantien durch den Verkäufer abgegeben werden, ist ein Vorgehen gegen die veräußernde Gesellschaft häufig unbefriedigend, da es an Haftungsmasse fehlt; der Käufer wird daher auf einer Absicherung seiner Ansprüche bestehen. Diese widerstreitenden Interessen belasten häufig die Vertragsverhandlungen und können sogar zu einem „dealbreaker“ werden.

Verkäufer- und käuferseitige W&I-Versicherungen

Zur Absicherung der Ansprüche des Käufers gibt es unterschiedliche Möglichkeiten, wie z.B. Kaufpreiseinbehalte oder Treuhandkonten. Im derzeitigen Verkäufermarkt sieht man solche Konstruktionen allerdings immer seltener. Weiterhin wachsender Beliebtheit erfreuen sich dage-gen zur Absicherung von käuferseitigen Ansprüchen sogenannte Warranty & Indemnity-Versicherungen („W&I-Versicherungen“). Denkbar sind W&I-Versicherungen für die Absicherung käuferseitiger Ansprüche sowohl auf Verkäufer- als auch auf Käuferseite. Soweit die Versicherung vom Verkäufer abgeschlossen wird, hält die Versicherung ihn – ähnlich einer Haftpflichtversicherung – im Falle der käuferseitigen Inanspruchnahme schadlos. Für den Käufer ist diese Konstruktion mit Unsicherheiten belastet, z.B. wenn der Verkäufer vorsätzlich handelt oder seine Obliegenheiten unter der Versicherungspolice verletzt und der Versicherer deshalb die Regulierung des Schadens verweigert. Die verkäuferseitige Versicherung hat daher mittlerweile jedenfalls in Real Estate Private Equity-Transaktionen nahezu keine praktische Relevanz mehr. Mittel der Wahl ist vielmehr die käuferseitige W&I-Versicherung: Hierdurch erhält der Käufer im Schadensfall einen direkten Anspruch gegen den Versicherer und braucht nicht gegen den Verkäufer vorzugehen. Derartige Policen decken zudem auch Fälle ab, in denen der Verkäufer grob fahrlässig oder sogar vorsätzlich Tatsachen nicht offengelegt hat.

Prämienhöhe

Aufgrund der steigenden Beliebtheit von W&I-Versicherungen steigt auch die Zahl der Versicherer, die derartige Policen anbieten. Mit dem größeren Angebot und dem dadurch entstehenden Wettbewerb zwischen den Versicherern gehen in letzter Zeit immer weitere Konditionenverbesserungen einher. In erster Linie zeigen sich diese bei den Versicherungsprämien. Waren bis vor kurzem Prämien über 1% der Versicherungssumme keine Seltenheit, sieht man derzeit vermehrt Prämien von nur noch 0,7% bis 0,8%.

Freibeträge und „tipping to nil“-Konzept

Auch soweit es einen etwaigen Selbstbehalt angeht, zeigen Versicherer in letzter Zeit größere Flexibilität. Während Käufer häufig früher Selbstbehalte in Höhe von 0,1% der Versicherungssumme akzeptieren mussten, hat sich in der Praxis mittlerweile das „tipping to nil“-Konzept durchgesetzt, häufig mit Beträgen von nur noch 0,05% der Versicherungssumme. „Tipping to nil“ ist dabei nichts anderes als eine Freigrenze: Wird diese überschritten, ersetzt der Versicherer (anders als beim Selbstbehalt) den gesamten Schaden und nicht nur den die Freigrenze überschreitenden Betrag. Teilweise werden Policen mittlerweile sogar ganz ohne Selbstbehalt oder Freigrenze ausgestellt, ohne dass sich dadurch die Prämie signifikant erhöht.

Weitere inhaltliche Verbesserungen

Inhaltliche Verbesserungen von W&I-Policen in letzter Zeit betreffen unter anderem die von der Police abgedeckten Schadensarten. Waren früher generell nur direkte Schäden versicherbar, erstreckt sich der Versicherungsschutz in neueren Policen oft auch auf indirekte Schäden, Folgeschäden und – in Immobilientransaktionen essentiell – entgangenen Gewinn in Form von Mietausfall, und dies sogar teilweise obwohl im Kaufvertrag die Erstattung solcher Schäden ausgeschlossen ist. Dagegen bleibt die Versicherung von Schäden, die sich auf Grundlage eines bestimmten Multiplikators der Miete berechnen, sehr schwierig. Flexibel zeigen sich die Versicherer zunehmend auch bei den Verjährungsfristen: Drei Jahre für normale Garantien und sieben Jahre für Garantien zu Rechtsinhaberschaft und Steuern sind hier zunehmend unabhängig von etwaigen kürzeren Verjährungsfristen im Kaufvertrag ohne Prämienaufschlag verhandelbar. Neues gibt es schließlich auch beim Ausschluss der Haftung des Versicherers wegen Kenntnis des Versicherungsnehmers von den schadensbegründenden Umständen. Traditionell führen bei deutschen Policen grundsätzlich schon im Due Diligence-Bericht identifizierte entfernte Risiken zu einem Haftungsausschluss; gleiches gilt für Risiken, die aus dem Datenraum ersichtlich waren. Möglich ist neuerdings allerdings die Beschränkung der als bekannt geltenden Risiken auf die Disclosure Schedules des Kaufvertrages, wie dies in U.S.-amerikanischen Policen üblich ist. Allerdings sind der zeitliche Aufwand bei der Verhandlung dieser Policen sowie die damit verbundenen Kosten derzeit noch deutlich höher als bei traditionellen Policen.

Schriftformerfordernis

Obwohl die Flexibilität der Versicherer in vielen Bereichen derzeit also stark zunimmt, tun sie sich bei einigen, im Immobilienkontext besonders wichtigen Themen, nach wie vor schwer. Garantien zu Schriftformverstößen unterliegen beispielsweise sehr häufig dem Vorbehalt, dass sich der Versicherungsschutz nur auf das bezieht, was in einem Vertragsdokument schriftlich festgehalten ist. Die – wichtige – Garantie, dass es zu den abgeschlossenen Mietverträgen keine mündliche Nebenabreden gibt, ist nur schwer versicherbar.

Steuern

Ein weiteres traditionelles Defizit von W&I-Versicherungen besteht in der häufig unzureichenden Abdeckung von Steuerrisiken. Während die kaufvertragliche Steuerfreihaltung in aller Regel auch dann greift, wenn die einem Steuerrisiko zugrundeliegenden Umstände aus dem Daten-raum ersichtlich oder dem Käufer, etwa aufgrund seiner Due Diligence, bekannt waren, verfolgt die W&I-Police insoweit einen anderen Ansatz. Hier führen wie oben dargestellt traditionell grundsätzlich schon im Due Diligence-Bericht identifizierte entfernte Risiken zu einem Haf-tungsausschluss; gleiches gilt für Risiken, die aus dem Datenraum ersichtlich waren. Auch insoweit ist allerdings in letzter Zeit etwas Bewegung in den Markt gekommen. So werden bei einigen Versicherern jedenfalls entfernte Risiken („low risks“) gegen Prämienaufschlag versichert; auf diese Weise kann ggfs. daher auch die Haftung aus § 75 AO oder ein Gewerbesteuerrisiko, das aus einer Betriebsstätte in Deutschland herrührt, versichert werden. Zudem ist es neuerdings möglich, Steuerrisiken auch dann zu versichern, wenn der Kaufvertrag keine Steuerfreihaltung enthält (sog. „synthetic tax deed“). Allerdings sind die Prämien hierfür deutlich höher als für normale W&I-Versicherungen, und die vorgenannten Haftungsausschlüsse gelten auch hier. Identifizierte mittlere und hohe Steuerrisiken können derzeit nur durch gesonderte Policen versichert werden, deren Prämien je nach Art und Umfang des Risikos stark variieren. Ähnliches gilt übrigens für jegliche Umweltrisiken; diese sind – wenn überhaupt – im Rahmen von üblichen W&I-Policen nur dann versicherbar, wenn eine eingehende Umwelt-Due Diligence durchgeführt wurde und die entsprechenden Due Diligence-Berichte keinerlei Risiken identifizieren. Es bleibt abzuwarten, ob sich die derzeit insgesamt zu beobachtende Flexibilisierung der Versicherungsbedingungen zukünftig auch bei diesen Themen bemerkbar machen wird.

Der Abschluss einer W&I Versicherung sollte stets unter Abwägung aller Umstände im Einzelfall erwogen werden. Insgesamt entwickelt sich der Markt aber angesichts des gestiegenen Wettbewerbs zwischen den Versicherern und der damit einhergehenden Konditionenverbesserungen derzeit deutlich in Richtung der Versicherungsnehmer.

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